Spezielle Situationen in einer Klassengemeinschaft erfordern gelegentlich eine maßgeschneiderte Aktion von Jugendsozialarbeitern und Lehrern, denn in der What´s App Gruppe fällt schnell mal eine Beleidigung, das trifft gerade ein Kindergemüt schwer. Aber fragen sich die Kinder auch: „Wie sieht es mit meinem eigenen Verhalten aus? Was weiß ich überhaupt über meine Mitschülerinnen und Mitschüler? Was verdient meine Hochachtung und meinen Respekt? Kann ich an der Mimik des anderen überhaupt ablesen, falls ich ihn oder sie mit meinen Worten verletzte? Wie soll das zukünftige Miteinander mit meinen Freunden aussehen, nicht in 5 Jahren sondern in einem halben Jahr? Was kann ich dafür tun, dass meine Vision für ein besseres Miteinander eintritt?“
Im Sitzkreis geht es los: eine abgewandelte „Reise nach Jerusalem“, denn der Ausrufer muss seinen Sitzplatz durch eine Anordnung ergattern: „alle, die Skifahren, wechseln den Platz!“; „alle, deren Lieblingsfarbe blau ist, wechseln den Platz“! Außer Atem, konzentriert und aufgewärmt wollen die Kinder nach 8 min gar nicht aufhören mit dem Spiel. Weiter geht es mit fünf Fragen: „Was würden Deine Freunde an deinem Verhalten loben?“, „Was finden deine Mutter, dein Vater, deine Großeltern und Geschwister gut an dir?“ usw. Dann erklärt die Sozialarbeiterin Frau Wollny die Spielregeln dazu: „Wir haben euch paarweise zugelost. Bitte führt gegenseitig ein Interview durch und stellt der Gruppe hinterher ein bis zwei gute Eigenschaften von eurem Interviewpartner vor.“ Schon nach 6 min gibt es die Ergebnisse. Für die Lehrerinnen überraschend fällt es erstaunlich eindimensional aus: „er ist zu allen freundlich“; „sie hat gute Schulnoten“; „er setzt sich für seine Freunde ein“; „sie kann gut Skifahren“. Bei den wenigsten tauchen überhaupt zwei unterschiedliche Merkmale auf und öfters ist die genannte Eigenschaft denkungsgleich mit dem persönlichen Teil der Zeugnisbemerkung. Kinder entlarven sofort, wenn ein Lob nicht gerechtfertigt ist und nehmen es dann nicht an – gerade deshalb müssen wir Erwachsenen wohl intensiver über die Kinder nachdenken und öfter echte und fundierte positive Rückmeldungen geben.
Weiter ging es mit einem tollen Spiel sozusagen Mimik erraten: Eine Person erhält auf einem kleinen geheimen Zettel einen Gemütszustand oder einen Gefühlausbruch beschrieben (s. Foto oben) und muss dies pantomimisch zum Ausdruck bringen. Die anderen rufen zu, was sie für richtig halten. Die Sozialarbeiterin Frau Wagner motiviert und lenkt die Zurufergebnisse. Es geht mit einfachen Begriffen los, aber einige Gefühlsregungen sind sehr schwer zu erkennen. Als ein Schüler komplett das Gegenteil ruft, was dargestellt werden soll, sprechen wir über das Verlegenheitslächeln oder -lachen, wenn sich jemand nicht gut behandelt fühlt, aber nicht weiß wie er oder sie reagieren soll. Wir stellen fest, dass es eine ganze Bandbreite von Mimik gibt, mit der unser Gegenüber reagieren kann und lassen auch nicht unerwähnt, wie schlecht es ist über das Internet ohne Mimik (bis auf Emojis) zu kommunizieren.
Frau Wollny spricht dann in einer Meditation von einer Kinderwelt die lebens- und liebenswert ist und tatsächlich kommen alle wunderbar zur Ruhe. Nun versetzen sich die Kinder in Gedanken an das Ende des Schuljahres und schreiben sich selbst einen Brief wie sie sich das Miteinander mit ihren Klassenkameraden vorstellen. Auch dazu werden ein paar Fragen als Anregungen projiziert. Der Inhalt des Briefs ist geheim und die Kinder werden das Schriftstück am Ende des Schuljahres mit dem Zeugnis erhalten. Schließlich macht die Klassenleitung den Kindern klar, dass sich eine solche Zukunft nicht ohne weiteres Zutun ergibt, sondern dass wir selbst handeln müssen. Wir sprechen darüber, dass wenn man selbst durch missgünstiges Verhalten eines anderen getroffen wird, man am besten mit ich-Botschaften das Gegenüber angeht: „Ich bin traurig, wenn ihr mich in der Pause nicht mitspielen lässt! – Wie würdest Du Dich an meiner Stelle fühlen“. Jeder sollte erst einmal mindestens ein positives Feedback bekommen, dass er oder sie sich für Kritik öffnet. Kritik sollte konstruktiv sein: „Ihr zwei Mädchen habt doch gute Analysefähigkeiten: sucht doch einmal gute Dinge über andere Personen, anstatt zu lästern! Würdet ihr euch dann nicht besser fühlen!“ Diese Strategien wurden dann in vier Kleingruppen weiter erarbeitet. Nach dem Schema durfte man auf kleinen Comic-geschmückten Zetteln anderen Mut machen und konstruktive Kritik äußern. Eine Person aus jeder Gruppe hat Ergebnisse an die Klasse zurückgemeldet: „In meiner Gruppe hat ein Kind gesagt, es wolle zukünftig nicht mehr über andere lästern“. Der Unterrichtsblock von drei Schulstunden war im Nuh verflogen – frei geworden war das Zeitfenster vor den Weihnachtsferien durch den Abzug von Lehrkräften für ein Skilager in der Parallelklasse. Daher konnte die Veranstaltung ohne Unterrichtsausfall von dem Sozialarbeiter-Duo Wollny und Wagner zeitweise ergänzt durch bis zu zwei Lehrerinnen, die schon lange in der Klasse unterrichten, durchgeführt werden. Ziemlich bald meldeten Eltern zurück, dass sich der Umgangston auf What´s App tatsächlich zumindest temporär verbessert hat und dort nun deutlich weniger kommuniziert wurde.
Am Ende des Schuljahres hat Frau Wollny noch einmal die Klasse besucht und die Briefe aus der Vergangenheit an die Kinder ausgeteilt. In einem Fall ist sogar alles genauso eingetreten, wie im Brief vor Weihnachten beschrieben. In zehn Fällen ist es ganz anders gekommen – allerdings waren sich alle einig, von wenigen einzelnen Personen abgesehen, hat die Klasse inzwischen eine sehr gute Gemeinschaft. Das zeigt sich schon darin, dass die Schülerinnen und Schüler ganz alleine ein Abschiedsfest zum Halbjahr für ihren ehemaligen Klassensprecher organisiert hatten und gleich noch einmal eines jetzt am Ende des Schuljahres. Auch den Sommerfeststand hat die Klasse alleine auf die Beine gestellt – beachtlich für eine Klasse der 6. Jahrgangsstufe. Fr. Dr. Haier
Diese maßgeschneiderte Intervention ist eingebunden in einen bunten Strauß von sozialpädagogischen Maßnahmen am Ismaninger Gymnasium, die auch ein offenes Gesprächsangebot in jeder Pause einschließen. Die Kinder der 5. Jahrgangsstufen werden durch kooperative Maßnahmen und Reflektion gestärkt sowie das Programm interkulturelles Lernen. In den 6. Jahrgangsstufen rüttelt eine Einheit über den Umgang mit elektronischen Medien spielerisch aber auch kritisch wach und die 7. Jahrgangsstufe nimmt sowohl am „Zsammgrauft“- als auch am „Aufgeklärt“-Programm teil.
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